Mittelalterliche Nähtechniken nach archäologischem Fundmaterial


Bearbeitet von D. Seidlitz, Berlin, 17.01.2004, überarbeitet im März 2005

Jeder der sich schon einmal mit der Rekonstruktion von Kleidung aus dem Mittelalter beschäftigt hat, weiß, daß mehr dazu gehört als ein wenig Talent fürs Schneiderhandwerk. Alle modernen Materialien und viele Techniken taugen für die Herstellung von mittelalterlicher Kleidung überhaupt nichts. Zu einer vernünftigen Rekonstruktion gehören neben den historisch belegten Materialien und Schnittechniken natürlich auch Handnähte. Um Neulinge zu ermutigen Kleidung von Hand zu nähen, findet sich hier eine Auswahl von im Mittelalter gebräuchlichen Nähtechniken.
Nach weiterer Recherche und neuen archäologischen Befunden sowie uns zu Verfügung stehenden Publikationen wird diese Zusammenstellung erweitert.

Abb.1

1Rollsaum mit Überwendstichen. 1a Mit Überwendstichen geheftete Schnittkante. 2 Schnittkante mit einfachem Umschlag, mit Überwendstich geheftet. 2a Schnittkante mit einfachem Umschlag, mit Rückstich.3 Schnittkante zweimal umgeschlagen und mit Überwendstich gesäumt.3a Schnittkante wie bei 3. Auf dem Rand ist eine Zierschnur mit Überwendstich befestigt. 4 Schnittante wie bei 3, mit zusätzlicher Reihe von Heftstichen. 5 Umgelegte Kante mit Hexenstich. 6 Heftstiche. 6a Überwendstich zum Einhalten des Stoffes. 7 Abnäher, mit Heftstichen in Mäanderform ausgeführt. 8 Zierflechte mit Überwendstichen über Abnäher befestigt. 9 Einfache Verbindung zweier Schnittkanten (Pelznaht). 9a Einfache Verbindung zweier flach liegender Schnittkanten. 10 Verbindung zweier Stoffteile an den Faltkanten. Schnittkanten mit einer gemeinsamen Überwendstichnaht gesichert. 11 Verbindung zweier Stoffteile wie bei 10. Schnittkanten schmal eingeschlagen und durch Überwendstiche verbunden. 12 Zwei umgeheftete Schnittkanten, durch Überwendstich verbunden. 13 Zwei breit umgeschlagene und geheftete Schnittkanten, durch Überwendstich verbunden. 14 Zwei mehrfach umgelegte und gesäumte Schnittkanten miteinander verbunden. 15 Eine umgeheftete Schnittkante, an der Faltkante mit einer doppelt gelegten Stofffläche vemäht. 16 Ein zurückgeklappter Stoffteil, am Umbruch durch Überwendstich mit einem zweiten Stoffteil verbunden. 16a Stofffläche und Schnittkante mit einfachem Umschlag durch Überwendstich verbunden. 16b Stofffläche und zweimal umgeschlagene Schnittkante durch Üeberwendstich verbunden. 17 Verbindungsnaht durch zwei Stoffflächen. 18 Zwei Schnittkanten übereinander gelegt, die Ränder durch Überwendstich verbunden. 19 Eine Schnittkante mit und eine ohne Umschlag, miteinander an den Rändern entlang verbunden. 20 Verbindungsnaht gleicher Konstruktion wie bei 19, hier aber nur an einem Rand entlang am Umbruch der zurückgeklappten Kante. Die Faltkanten sind mit einer Reihe von Vorstichen geheftet, die Schnittkanten sind unbearbeitet. 21 Kappnaht: zwei eingeschlagene, ineinandergefalzte Schnittkanten mit zusammengenähten Faltkanten. 22 Zwei umgeschlagene Schnittkanten, an den Faltkanten entlang miteinander venäht. Eine Schnittkante liegt offen. 23a—b Ein Stoffteil mit Schnittkante an einem zweiten Stoff mit Schlingstich befestigt und gesichert.

Abb.1
Verbindung zweier Kanten mittels Überwendstichen, eine Kante ist eingeschlagen und überlappt leicht
(London, 14. Jh.)
Abb.2
Verbindung mit Steppstich und Überwendstich,zwei gleichmäßig überlappende Kanten
(London, 14. Jhdt.)
Abb.3
A: Verbindung mit Steppstich
B: Verbindung mit Rückstich
C: Säumen der Stoßnaht mittels Steppstich. Die umgelegten Kanten befinden sich auf links
Abb.4
Säume
A: Einfach umgelegt mit Überwendstich
B: Einfach umgelegt mit Steppstich
C: Einfach umgelegt, mit Überwendstich sowie Steppstich
D: Doppelt umgelegt mit Überwendstich
Originalbeispiel zu C
(London14. Jh.)
Abb.5
Feiner Rollsaum. Diese sparsame sowie feine Methode der Säumung , findet sich bei feinen Stoffen. Alle stärkeren Gewebe lassen sich so nicht besonders gut versäumen.
Im Originalbeispiel (B) sehr feines Seidengewebe.
(London, 14. Jh.)
Abb,6
Runde Nestellöcher
Abb.7
Originalbeispiel (London, 14.Jh.)
Abb.8
Kopflochversäumung
Abb.9
Originalbeispiel (London, 14. Jh.)
Abb.10
Knöpfe kamen ab der Mitte des 13. Jhdt. in Mode. Allerdings waren es keine Knöpfe mit Löchern wie wir sie heute kennen, im 13. und 14. Jhd. waren es vielmehr Stopfknöpfe aus Textil und Knöpfe aus Glas, Bunt- oder Edelmetallen.
A – B : Schrittweise Konstruktion eines Stopfknopfes, zwischen A und B wird der Knopf mit Stoffresten gefüllt.
Aus meiner Erfahrung kann ich sagen das es einiges an Übung erfordert bis man einen Knopf wie den vorherigen hinbekommt, aber es lohnt sich.
Abb.11
Originalbeispiel Knöpfe (London, 14.Jhd.)
Abb.12
Möglichkeit zum Einsetzen von Ärmelgeren nach Textilfunden auf Grönland (Herjolfsnaesfunde).
Abb.13
Verbindung von Futterstoff und Oberstoff mit Vorstichen (Bsp. Tempelhofer Mantelfragment).
Abb.14
a und b: Einsetzen der Geren (Keile).
c: Flache, dreihreihige Naht aus Vorstichen für die Verbindung, und Überwendstichen für die Versäuberung (beides Herjolfsnaes).
Abb.15
Verbindungsnaht aus Vorstichen und Überwendstichen, a: aussen, b: innen.
c: Scheinnaht (beides Herjolfsnaes)
Abb.16
Säume und Kragen (Herjolfsnaes)
Abb.17
Originalbeispiel Kragenversäuberung, Wollköper einfach umgeschlagen (Herjolfsnaes)

Rekonstruktionsbeispiele

Um den obenstehenden Skizze etwas mehr Leben zu verleihen haben wir hier einige Beispiele für Nahtrekonstruktionen zusamengestellt. Dabei ist "rechts" als sichtbare Aussenseite und "links" als Innenseite zu verstehen.
    Dreihreihige Verbindungsnaht aus Vorstichen und Überwendstichen.
Siehe Abb. 14-c.
Material: Wollköper zwiebelgefärbt, Leinenzwirn angebleicht.


Zweihreihige Verbindungsnaht aus Vorstichen und Überwendstichen.
Siehe Abb. 15 a-b.
Einfach umgelegter Kragensaum, mittels Vorstichen und Überwendstichen fixiert.
Siehe Abb. 16.
Material: Wollköper zwiebelgefärbt, Leinenzwirn ungebleicht.
Eingesetzte Ärmelgeren.
Siehe Abb. 12.
Material: Wollköper zwiebelgefärbt, Leinenzwirn ungebleicht.
Rollsaum am Ärmelbund.
Siehe Abb.1-1; Abb.5.
Material: Flachslein ungebleicht, Leinenzwirn ungebleicht.
Doppelt umgeschlagener Saum, mittels Überwendstichen fixiert.
Siehe Abb.1-3; Abb. 4-D.
Material: gebleichtes Flachslein handgewebt, Leinenzwirn.
  Dreihreihige Naht aus Überwendstichen, Saum doppelt umgeschlagen.
Siehe Abb. 1-12.
Material: Wollköper krappgefärbt, Wollzwirn ungefärbt.


Kappnaht. Siehe Abb. 1-22.
Material: Handgewebtes Leinen gebleicht, Leinenzwirn ungebleicht.
Verbindungsnaht mit Vorstichen und Überwendstichen zur Versäuberung.
Siehe Abb. 1-10.
Material: Wollköper krappgefärbt, Wollzwirn ungefärbt.
Verbindung von Futter- und Oberstoff mittels Vorstich.
Siehe Abb. 13.
Material: Gewalkter Wollköper wallnußgefärbt, Leinen gebleicht, Leinenzwirn ungebleicht.
Stopfknöpfe und Knopflöcher.
Siehe Abb.8; Abb. 10.
Material: Wollköper, Leinen (in den Knöpfen), Leinenzwirn (ursprünglich rot gefärbt)
Literatur:

Hägg, Inga. Die Textilfunde aus der Siedlung und aus den Gräbern der Siedlung Haithabu (Berichte über die Ausgrabungen in Haithabu) Beitrag 29, Neumünster 1991.
Hägg, Inga. Die Textilfundeaus dem Hafen von Haithabu (Berichte über die Ausgrabungen in Haithabu) Beitrag 20,Neumünster, 1984
Crowfoot, Pritchard, Staniland. "Medieval finds from excavations in London. Textiles and clothing c.1150 - c.1450." London 1992
Östergard, Else. Woven into the Earth. Textiles from norse Greenland. Aarhus university press, 2004.
Goldmann, Annelies. Das Manteltuch des Tempelritters, Textilfragmente aus einer Berliner Dorfkirche. In: Textilsymposium Neumünster 1993. Neumünster 1994.



Abbildungen:

Abb. 2-11:Crowfoot, Pritchard, Staniland. "Medieval finds from excavations in London. Textiles and clothing c.1150 - c.1450." London 1992
Abb. 1: Zeichnung nach Hägg, Inga; von D. Seidlitz, familia ministerialis
Abb.12; 14-17: Östergard, Else. Woven into the Earth. Textiles from norse Greenland. Aarhus university press, 2004.
Abb. 13: Goldmann, Annelies. Das Manteltuch des Tempelritters, Textilfragmente aus einer Berliner Dorfkirche. In: Textilsymposium Neumünster 1993. Neumünster 1994.
Rekonstruktionsbilder: familia ministerialis